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Der Gedächtnistank

Lernen im Tank, Lernen nach dem Tank, Lernen vor dem Tank

Untersuchungen wie die erwähnte an der Texas A&M-Universität haben viele Wissenschaftler und Pädagogen davon überzeugt, daß der Tank ein potentiell revolutionäres Werkzeug zur Beschleunigung von Lernvorgängen sein kann. Er wird mittlerweile an Schulen, Universitäten und über 250 <Schwebezentren> überall in den Vereinigten Staaten, Kanada, Europa und Japan eingesetzt. Immer deutlicher zeigt sich durch Forschung und wachsende Beliebtheit des Geräts, daß sich der Tank auf vielseitige Weise zur Verbesserung des Lernerfolgs verwenden läßt.

Lernen im Tank

Die offensichtlichste Anwendungsmethode nutzt direkt die tiefe Entspannung, die Verstärkung der Theta-Wellen, die verbesserte Empfänglichkeit für Suggestionen und die erhöhte Fähigkeit zur Informationsverarbeitung. Dabei wird der Mensch, während er sich im Tank befindet, mit den Informationen versorgt, die gelernt werden sollen. Das kann über einfache Autosuggestionen oder Visualisationen geschehen, wobei der Benutzer selbst die passenden Botschaften oder Bilder wählt - ähnlich wie bei einer normalen Selbsthypnose. Praktisch alle heute hergestellten Schwebetanks sind mit Innenlautsprechern ausgerüstet, so daß der Benutzer die Information, die er aufnehmen will, vorher auf eine Tonbandkassette aufnehmen kann, die abgespielt wird, wenn er im Tank ist. Nach Berichten der Anwender ist diese Methode äußerst erfolgreich - zum Beispiel beim Sprachenlernen, aber auch bei der Vorbereitung auf Examina. Sprachstudenten berichten, daß sie mehrere Hundert neue Worte in einer einzigen einstündigen Sitzung aufnehmen können, wobei die Worte fast hundertprozentig dauerhaft gespeichert werden.

Die meisten Tankhersteller verkaufen mittlerweile auch solche mit eingebauten Videobildschirmen. So daß sich der Benutzer entspannen kann, bis er in einem entsprechend aufnahmebereiten Zustand ist, und dann die Videokassetten mit den zu lernenden, visuellen Informationen anschauen. Am häufigsten werden kommerziell hergestellte Videobänder von Berufssportlern in Bestform verwendet, die dann alle möglichen Sportarten demonstrieren. Auf den Golf- oder Tennisbändern wird zum Beispiel jeder Schlagtypus mehrere Dutzend mal wiederholt, um die visuellen und sensorischen Informationen tiefer einzuprägen. Die Bilder werden durch Klänge zusätzlich verstärkt -der feste Klang eines Schlägers beim Auftreffen auf den Ball oder auch Computermusik, die die fließenden Körperbewegungen elektronisch untermalt. Schwebetank-Forschungen an der Stanford University deuten darauf hin, daß das Beobachten solch vollkommener Leistungen einen Modelleffekt hat, so daß man die Bewegungen in das eigene .Muskelgedächtnisprogramm> übernimmt. Wenn man dann aus dem Tank klettert, hat der Körper das Gefühl der Bewegungen fest in sich aufgenommen. Das Anschauen einer einstündigen Kassette soll dabei ebenso wirksam sein wie viele Stunden Körpertraining.

Viele Sportler haben sich ihre eigenen Bänder angefertigt. Der Footballprofi Rafael Septien, der als Feldtorschütze für die Dallas Cowboys spielt, ist ein Beispiel dafür. Jeden Tag steigt er in den Tank und sieht sich selbst beim Schießen makelloser Feldtore zu. Nach seinen Aussagen ist er mit Hilfe des Tanks zu einem Vollprofi geworden. «Kein Zweifel, der Tank wirkt», sagte er mir. «Man sagt zwar, Übung macht den Meister, aber eigentlich macht nur die vollkommene Übung den Meister. Und das visualisiert man im Tank: das perfekte Training.» Andere Bänder setzen den Modelleffekt in der Ausbildung von Chirurgen, Musikern, Verkaufsvertretern, Schauspielern, Tänzern, Sängern, Künstlern, Lehrern, Wissenschaftlern und Managern ein. Dazu ein Hersteller solcher Übungsbänder: «Durch die jüngsten Fortschritte der neurologischen Wissenschaft, der Computerforschung und der transistorisierten Meßinstrumente ist es heute möglich, auf Videobändern gespeicherte Fertigkeiten elektronisch aufs menschliche Nervensystem zu übertragen.» Die Kombinationsmöglichkeiten von visuellen Informationen und Klang scheinen fast unbegrenzt. Ihre Erforschung steckt noch in den Kinderschuhen.

Lernen nach dem Tank

Zu den am häufigsten erlebten Wirkungen des Schwebens gehören ein Gefühl leichter Euphorie, geistige Klarheit und eine Schärfung der Sinne, die viele Stunden, manchmal sogar Tage nach Verlassen des Tanks anhalten. Erfrischt kehren die Benutzer in die Welt zurück"deautomatisiert>, wie es der Psychologe Arthur Deikman nennt. Die Pforten der Wahrnehmung sind gründlich gereinigt. Als Beispiel für die Verschärfung der Sinne durch den Aufenthalt im Tank bedenke man, daß nach nur einer Minute Dunkelheit die Lichtempfindlichkeit des Auges auf das Zehnfache steigt. Nach nur zwanzig Minuten steigt sie sogar auf das Sechstausendfache. Und nach vierzig Minuten - immer noch weniger Zeit, als die meisten Leute auf eine Tank-Session verwenden - erreichen die Augen die Grenze ihrer Lichtempfindlichkeit und werden etwa 25.000 mal lichtempfindlicher als vor der Erfahrung der Dunkelheit. [214]

Diese Steigerung der geistigen und körperlichen Funktionen machen die Stunden nach dem Aufenthalt im Tank zu einem idealen Zeitpunkt für Lernen jeder Art. Der Geist ist äußerst empfänglich für externe Information, gleichzeitig aber immer noch in einem eher freischwebenden Zustand, der Phantasie und kreatives Denken fördert. Viele Tankbenutzer stellen fest, daß sie gerade in den Stunden nach dem Schweben Problemlösungen finden oder neue Ideen entwickeln. Oft bemerken sie, daß in dieser Zeit Lesen, Studieren, Musikhören etc. besonders lohnen und produktiv sind.

Lernen vor dem Tank

Während ich verschiedene Tankbenutzer interviewte, erwähnte ein Mann ein <merkwürdiges Erlebnis>, das er beim Holländisch-Lernen gehabt hatte. Er war einmal direkt nach der Unterrichtsstunde in den Tank gestiegen. Aus verschiedenen Gründen hatte er in den nächsten Tagen keine Zeit, sich den Unterrichtsstoff noch einmal anzuschauen. Als er aber die nächste Unterrichtsstunde besuchte, stellte er fest, daß er sich praktisch lückenlos an die vorangegangene Stunde erinnern konnte. Er hatte das Gefühl, daß das Schweben irgendwie unbewußt die Information im Gehirn gefestigt hatte. War so etwas möglich?

Kurze Zeit später las ich mehrere Berichte über sensorische Deprivation. Dabei ging es unter anderem um eine Untersuchung vom Anfang der sechziger Jahre, bei der die Forscher zwei Gruppen von Versuchspersonen lange Passagen aus Tolstois Krieg und Frieden vorgelesen hatten. Sie sagten den Versuchspersonen nicht, daß es darum ginge, diese Passagen zu behalten; es war nur eins in einer Reihe von Ereignissen, die die Versuchspersonen vor dem eigentlichen Experiment erlebten. Sie erwarteten also keine erneute Überprüfung. Die Kontrollgruppe ging anschließend ihren normalen Alltagsbeschäftigungen nach, die andere Gruppe verbrachte eine gewisse Zeit in einer sensorischen Deprivationskammer. Nach vierundzwanzig Stunden wurden die Gruppen erneut getestet. Dabei fanden die Forscher, daß die speziell auf die vorgelesenen Passagen bezogenen Erinnerungsleistungen bei der Kontrollgruppe deutlich zurückgegangen waren, während bei der sensorisch deprivierten Gruppe kein Rückgang der Erinnerungsleistung feststellbar war. Die sensorisch deprivierte Gruppe erinnerte sich nach vierundzwanzig Stunden sogar an mehr Einzelheiten als direkt nach dem Lesen! Die Forscher sprachen mit den Versuchspersonen und erfuhren, daß keine von ihnen einen erneuten Test erwartet hatte. Nur ein Mensch berichtete, daß er in der Zwischenzeit an die Passage aus Krieg und Frieden gedacht hätte. Die Forscher nannten dieses Phänomen den <Erinnerungseffekt>. Durch den Zustand der sensorischen Deprivation kam ein Gedächtniszuwachs zustande.

Eine neuere Versuchsreihe hat mehr Licht auf diesen merkwürdigen Erinnerungseffekt geworfen. Man gab Versuchspersonen bestimmte Informationen, dann trank eine Gruppe Alkohol - nicht genug, um betrunken zu werden, aber doch genug, um in einen entspannten und gehobenen Zustand zu gelangen. Die Kontrollgruppe konsumierte keinen Alkohol. Als man später beide Gruppen erneut testete, stellte sich heraus, daß die alkoholisierte Gruppe sich bedeutend besser an die Information erinnern konnte.

Wie ist das zu erklären? Die Wissenschaftler sind sich mittlerweile einig, daß es mindestens zwei Arten von Gedächtnis gibt, allgemein als Kurzzeitgedächtnis und Langzeitgedächtnis bekannt. Beim Autofahren sind wir uns zum Beispiel bewußt, wieviele Autos hinter uns fahren und wie nah sie auffahren. Diese Information wird im Kurzzeitgedächtnis gespeichert - zehn Kilometer weiter haben wir sie vergessen. Wenn wir eine Telefonnummer nachschauen und sie im Gedächtnis behalten, bis wir die Wählscheibe bedient haben, arbeitet ebenfalls das Kurzzeitgedächtnis. Das Kurzzeitgedächtnis ist für Informationen zuständig, die wir nur zeitweise im Kopf behalten müssen, dann aber schnell vergessen dürfen. Andererseits gibt es Informationen, die womöglich ebenso flüchtig wie die Telefonnummer im Bewußtsein auftauchen, dann aber doch so dauerhaft werden, daß sie noch ein Menschenleben später mit absoluter Klarheit erinnert werden können -etwa ein kurzes Ereignis, das man als Kind beobachtet hat und noch neunzig Jahre später im Gedächtnis hat. Diese Information ist dann ins Langzeitgedächtnis übergegangen.

Untersuchungen mit Drogen, die die Proteinsynthese im Gehirn hemmen, haben gezeigt, daß kurzfristige elektrochemische Veränderungen im Gehirn für das Kurzzeitgedächtnis stehen, während die Proteinsynthese im Gehirn für das Langzeitgedächtnis notwendig ist. Gibt man Menschen kurz, nachdem sie etwas gelernt haben, Drogen, die die Proteinsynthese verhindern, wird die Information vergessen -das heißt, sie erreicht niemals das Langzeitgedächtnis. Gibt man diese Drogen aber erst eine Stunde nach dem Lernvorgang, so wird die Information nicht vergessen, ist also bereits Teil des Langzeitgedächtnisses geworden. Informationen gehen in den ersten ein, zwei Stunden nach ihrem Empfang ins Langzeitgedächtnis über - gleichzeitig kommt es zur Proteinsynthese im Gehirn.

Eine Art der Proteinsynthese im Gehirn ist das strukturelle Wachstum: Dendritenwachstum und Bildung neuer dendritischer Äste und Synapsen. Eine Studie von William Greenough (University of Illinois) hat gezeigt, daß bei Ratten, die man auf das Durchqueren eines Labyrinths trainiert, direkt nach dem Training dendritisches Wachstum auftritt. Das heißt, Gehirnwachstum ist eine spezifische Reaktion auf Lernen.

Lernen und Langzeitgedächtnis geschehen nur dann, wenn im Gehirn die Proteinsynthese stattfindet. Einerseits fördert das Gehirnwachstum Lernen und Gedächtnis, andererseits führen Lernen und Gedächtnis zu Gehirnwachstum. Gedächtnis und Lernen lassen sich nicht von physischen Veränderungen im Gehirn trennen. Wir sehen jetzt, daß das physische Wachstum des Gehirns im Wesentlichen mit dem Vorgang des Lernens und dem Wachstum der Erinnerungsspeicher identisch ist. Um mit Prigogines Begriffen zu sprechen: Wenn Energie in Form neuer Informationen oder Erfahrungen in das Gehirn eintritt, kann sie nur durch eine tatsächliche Veränderung in Struktur und Organisation des Systems verarbeitet werden, also durch Gehirnwachstum.

Wenn etwas geschieht, das dieses Gehirnwachstum aufhält, etwa eine Droge verabreicht wird, die die Proteinsynthese hemmt, dann verschwindet die neu ins System eingetretene Information wieder, sie wird vergessen. Ist aber ausreichend Zeit für die Proteinsynthese vorhanden, dann kommt es zu dauerhaften Veränderungen im Gehirn, und die Information wird Teil des Langzeitgedächtnisses.

Was also den Erinnerungseffekt angeht, den die Forscher bei sensorischer Deprivation ausmachten, so ist er vermutlich darauf zurückzuführen, daß die sensorisch deprivierte Gruppe nach Aufnahme der Information eine Zeitlang von weiteren Sinneswahrnehmungen abgeschnitten war, so daß keine weiteren Reize mit der Information um die Aufnahme ins Langzeitgedächtnis konkurrierten. Ähnlich bei der alkoholisierten Gruppe: Diese Personen verschlossen in leicht angeheitertem Zustand das Gehirn für neue Information, so daß die vor dem Alkoholgenuß empfangenen Informationen genug Zeit hatten, sich zu festigen.

Es erscheint offensichtlich, daß Tankbenutzer sehr von diesem Erinnerungseffekt profitieren können. Wenn sie eine Information ins Langzeitgedächtnis übertragen wollen, müssen sie sich nur unmittelbar vor dem Einstieg in den Tank damit befassen. Oder sie sollte über Video- oder Audiokassette im Frühstadium des Schwebens zugeführt werden. Die darauf folgende Periode der sensorischen Einschränkung - im Idealfall mindestens eine Stunde - sollte genug Zeit für die notwendige Proteinsynthese im Gehirn lassen, so daß die Information ins Langzeitgedächtnis übergeht.

Eine Reihe von Untersuchungen am Isolationstank haben ergeben, daß das Schweben einen vasodilatorischen Effekt hat, indem es die winzigen Kapillaren entspannt, die Blut in und durch das Gehirn tragen. Daraus ergibt sich eine bessere Blutversorgung der einzelnen Neuronen. Da die für die Proteinsynthese wesentlichen Nährstoffe im Blut transportiert werden, kann eine erhöhte Blutzufuhr im Gehirn der Proteinsynthese nur förderlich sein. Dazu Dr. Arbold Scheibel, Professor der Medizin an der University of California Los Angeles und Experte für Gehirnwachstum: «Es gibt einen Grundsatz, der besagt: Kein Neuron ist gesünder als die Kapillare, die es versorgt. Und wir hegen die starke Vermutung, daß Erhaltung oder langsamer Niedergang des Gehirns wesentlich mit der kapillaren Blutzufuhr zusammenhängen.» [49] Die während des Schwebens eintretende Gefäßerweiterung fördert also das Gehirnwachstum. Das bedeutet, daß das Schweben durch Verbesserung der Blutzufuhr zum Gehirn Lernen und die Bildung von Langzeiterinnerungen fördern kann.